4. Original text.

 

       WERNER HEISENBERG

München 23

Rheinlandstrasse 1

 

22.12.61.

 

Lieber Bohr!

Hab den herzlichsten Dank für Deinen Glückwunsch und den Aufsatz über die Entstehung der Quantenmechanik, der mich so lebendig an die schöne Zeit in Deinem Institut erinnert hat und an all das, was ich von Dir lernen konnte. Wie anders ist die Physik seit dieser Zeit geworden! Es kommt mir beinahe merkwürdig vor, jetzt wieder wie neulich in Brüssel an dem Kampf der Meinungen teilzunehmen und die verschiedenen widersprechenden Argumente auf die Goldwage zu legen so wie wir es vor 30 Jahren in Kopenhagen getan haben. Die jungen Physiker schauen dabei etwas verwundert zu, weil sie sich vielleicht an die Vorstellung gewöhnt haben, dass man schliesslich nur hinreichend viele Physiker an hinreichend grosse Maschinen stellen müsste, dann kommt schliesslich alles von selbst in Ordnung. Aber dies soll kein elegischer Brief sein; ich habe im Gegenteil die

 

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Diskussionen in Brüssel sehr genossen, und ganz besonders noch deshalb, weil Du auch wieder dabei warst. Übrigens hatte ich seitdem noch eine besondere Freude: die relative Parität von Sigma- und Lambda-Teilchen, über die ich mit Salam und anderen in Aix en Provence und Brüssel verschiedener Meinung war, ist inzwischen in Kalifornien gemessen worden und kommt ungerade heraus, so wie es aus den Rechnungen von Dürr u. mir sich ergeben hatte. Man fängt also doch an, das komplizierte Spektrum der Elementarteilchen zu verstehen.

Ich hoffe, dass es Dir gesundheitlich gut geht und dass Ihr Euch zum Jahreswechsel an den Besuchen der grossen Familie, Kindern und Enkeln, freuen könnt.

Mit vielen herzlichen Grüssen, auch von Elisabeth u. den Kindern

Dein

                 Werner